©inTRAlinea & Irmeli Helin (2009).
"Lob und Gesang im Dialekt Dialekt in alten und neuen Kirchenliedern und ihren Übersetzungen"
inTRAlinea Special Issue: The Translation of Dialects in Multimedia

inTRAlinea [ISSN 1827-000X] is the online translation journal of the Department of Interpreting and Translation (DIT) of the University of Bologna, Italy. This printout was generated directly from the online version of this article and can be freely distributed under Creative Commons License CC BY-NC-ND 4.0.

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Lob und Gesang im Dialekt

Dialekt in alten und neuen Kirchenliedern und ihren Übersetzungen

By Irmeli Helin (University of Turku, Finland)

Abstract

Dialects are usually considered as our first mother tongue. Thus, the deepest feelings and knowledge are expressed and adopted in childhood using this dialect. Religious concepts and knowledge belong to this category. The oldest Finnish collection of hymns consisted of 53 songs and was published in 1583 by Jaakko Finno. Most of them (34) are still included in the newest one (1986), 27 being translations from German. The corresponding German hymns can also be found in the new German hymn collections. In this paper I try to find out how the old dialectal expressions were translated and whether the translator used dialect of the target language in his work. On the other hand I want to look at the retranslations and modifications of the oldest hymns to see, whether the archaic expressions have been changed or left unaltered.

Zusammenfassung

So wie Luther sowohl der Reformator als auch der Gründer der einheitlichen deutschen Sprache genannt wird, gilt dieselbe Bezeichnung für den Finnen Agricola für Finnland und die finnische Sprache. Luther war auch Dichter und Komponist einiger heute noch bekannten Kirchenlieder, und auch von den ersten finnischen Kirchenliedern, die Jaakko Finno 1583 übersetzt und modifiziert hatte, sind heute noch mehrere im modernen Gesangbuch erhältlich. In der Ära der Trennung der katholischen und evangelischen Kirche waren die Schriftweisen noch nicht normiert, sondern variierten sogar innerhalb eines und desselben Textes, der oft auch reichlich dialektale Formen und Ausdrücke enthielt. Die Betrachtung dieser Merkmale gehört zu einem größeren Projekt, wo die erwähnten alten Texte und ihre alten und neuen Übersetzungen und Modifikationen sowohl aus einer übersetzerischen und linguistischen als auch aus einer gesellschaftlichen Sicht analysiert werden. Aus dem Korpus werden hier einige deutsche und finnische Liederstrophen mit dialektalen Ausdrücken und Merkmalen präsentiert und analysiert.

Keywords/Schlüsselwörter

ENG: Dialects - dialect translation - hymns -old dialects - retranslation
DEU: Dialektelekte - Dialektübersetzung - Kirchenlieder - alte Dialekte -Neuübersetzung

1. Einleitung

Als die ältesten finnischen Kirchengesänge nach der Reformation im 16. Jahrhundert gedruckt wurden, suchte die finnische Schriftsprache erst bzw. noch ihre eigenen Formen und Formulierungen. Auch die deutsche Standardsprache stammt aus demselben Zeitalter, dem 15. und 16. Jahrhundert (vgl. z. B. von Polenz 2000). Sowie Luther sowohl der Reformator als auch der Gründer der einheitlichen deutschen Sprache genannt wird, gilt dieselbe Bezeichnung auch für den Finnen Agricola für Finnland und die finnische Sprache. Es ist also kein Wunder, dass z. B. die Schriftweisen dieser zwei Sprachen in der Ära der Trennung der katholischen und evangelischen Kirche noch nicht festgelegt waren, sondern sogar innerhalb eines und desselben Textes variierten. In diesem Artikel geht es aber nicht darum, diese Abweichungen zu analysieren, sondern es werden dialektale Formen und Ausdrücke in den alten Texten gesucht. Diese Betrachtung bildet einen Teil eines größeren Projekts, dessen Absicht ist, die alten Texte und ihre alten und neuen Übersetzungen und Modifikationen sowohl aus einer übersetzerischen und linguistischen aber auch aus einer gesellschaftlichen Sicht zu analysieren. Zuerst wird das Projekt allgemein beschrieben, dann werden einige Beispiele für deutsche und finnische Liederstrophen mit dialektalen Ausdrücken ausgesucht und ihre dialektalen Merkmale analysiert.

2. Korpus des Projekts

Das Korpus des Projekts besteht aus den ältesten finnischen Kirchengesängen aus 1583 und den entsprechenden Ausgangstexten,  und zwar denjenigen, die ursprünglich auf Deutsch geschrieben worden waren und damals aus dem Deutschen entweder direkt oder indirekt, meistens in diesem Fall über die schwedische Sprache, ins Finnische übersetzt wurden. Eine weitere Bedingung war, dass sie sich immer noch im neuesten finnischen Gesangbuch von 1986 befinden. Das erste finnische Gesangbuch mit insgesamt 101 Liedern enthielt also auch weitere Übersetzungen, die aber im Laufe der Zeit aus den neueren Büchern weggelassen wurden. Insgesamt sind in unserem modernen evangelischen Gesangbuch noch 34 Gesänge aus dem ältesten Buch vorhanden. Davon sind 27 Übersetzungen der Lieder deutschen Ursprungs, die restlichen sieben sind dann original finnisch bzw. Übersetzungen aus dem Schwedischen oder Lateinischen. Bei der Untersuchung wurde festgestellt, dass alle die ganannten 27 Lieder auch noch in den deutschen Büchern zu finden sind. Es wurden das EKG = Evangelisches Kirchengesangbuch (1981) und das EG = Evangelisches Gesangbuch (1990) als Korpus herangezogen.

Als Vergleichsmaterial wurden 34 moderne finnische und deutsche Kirchengesänge gewählt, die nur in den neuesten Büchern enthalten waren. Diesmal wurden sie jedoch außerhalb der Betrachtung gelassen, da sie keine dialektale Syntax oder Lexik mehr enthalten. Im eigentlichen Projekt sind sie dagegen sehr wichtig, da sie mit den alten Textinhalten verglichen werden sollen. Dabei wird mit den oben genannten Methoden untersucht, wie viel die umgebende Gesellschaft auf die Textveränderungen und Neuübersetzungen mitgewirkt hat. Auch die Gründe werden dabei mitanalysiert. Ein gutes Beispiel für den Wandel der Konnotationen und Assoziationen eines kirchlichen Liedtextes ist das international bekannte und in mindestens 70 Sprachen übersetzte Kirchenlied (Heiner 1995: 41) „Ein feste Burg ist unser Gott“ von Martin Luther, von dem hier zwei Strophen mitgenommen wurden.

Tabelle 1


Gesangbücher Lieder im Korpus Strophen Verse
Finno, alte finnische Übesetzungen aus 1583 27 152
1068

Deutsche Originaltexte aus unterschiedlichen Quellen 27 162
1098

Neue finnische Übersetzungen 1986 27 138 1006
Dieselben deutschen Gesänge EKG 1981 27 143 1008

Eine quantitative Analyse ergibt 152 Strophen und 1068 Verse in den alten ins Finnische übersetzten Texten und 162 Strophen und 1098 Verse in den alten deutschen Ausgangstexten. Ihre entsprechenden neuen Versionen dagegen enthalten nur noch 138 Strophen und 1006 Verse im finnischen, 143 Strophen und 1008 Verse im deutschen Gesangbuch (EKG 1981). Alle diese stehen also seit den Anfängen der Reformation in Gesangbüchern. Von den finnischen Übersetzungen wurden mit der Zeit insgesamt 14 Strophen weggelassen, während die Anzahl der Strophen in den deutschen Originalen ursprünglich 10 Strophen höher war und danach durch 19 auf die heutigen 143 Strophen herabgesetzt wurde. Im Großen und Ganzen sind es jeweils einige Lieder, die betroffen sind. Schon allein bei dem Lied von Paul Speratus „Es ist das Heil uns kommen her“ (das Vollständige große Cellische Gesang-Buch (1696) Nr. 178, Seite 155) z. B. wurden von den ursprünglichen 19 Strophen 10 weggelassen, so dass das heutige Lied (heute EKG 342) nur noch 9 Strophen enthält.

Das Vergleichsmaterial dagegen besteht aus 34 neuen Gesängen in beiden Sprachen. Das Material ist also genauso groß wie die Gesamtzahl der erhaltenen Finno-Übersetzungen im neuen finnischen Gesangbuch. Die nähere Betrachtung ergibt in diesem Teilkorpus 150 Strophen und 826 Verse aus dem finnischen (1986), 161 Strophen und 868 Versen aus dem deutschen Gesangbuch (EG 1990). Daraus kann sofort dasselbe festgestellt werden wie aus dem alten Korpus, nämlich, dass die Gesänge mit der Zeit deutlich kürzer geworden sind. Wo vor 400 Jahren ein deutscher Kirchengesang im Durchschnitt 41 Verse und ein finnischer 39,5 Verse enthielt, haben die modernen deutschen durchschnittlich nur knapp 26 und die finnischen 24 Verse. Das Verhältnis zwischen den deutschen und finnischen Texten ist dabei unverändert geblieben.

3. Einteilung des Projektmaterials

Tabelle 2

Das finnische Gesangbuch 1986 EKG 1981

I Das Kirchenjahr 10 I Das Kirchenjahr 11
II Der Gottesdienst 8 II Der Gottesdienst 7
III Das Leben in Christus
7 III Psalmen/Bitt- und Lobgesänge für jede Zeit 9
IV Das Leben in der Welt Gottes 2 IV Lieder für besondere Zeiten und Anlässe 0

Die alten deutschen Gesänge wurden in mehreren Quellen gefunden und daher können die Hauptabschnitte, in denen die frühen Texte sich befanden, nicht mit denen der finnischen verglichen werden, obwohl die einzige alte finnische Quelle, das Gesangbuch von Jaakko Finno (1583) mit einer Einteilung versehen war, die aber sich von der heutigen abweicht. Dagegen konnte festgestellt werden, dass die heutigen Versionen und Abschnitte sich situativ recht gut entsprechen. Das Ziel für ein wissenschaftlich messbares Vergleichsmaterial, die Suche der modernen Kirchengesänge möglichst in denselben Abschnitten, wo das jahrhundertelang bestandene Material in den modernen Quellen gefunden wurde, ist dagegen nicht völlig erreicht worden.

4. Eine kleine Begriffsanalyse mit dem Teufel & Co.

Hier ist noch als Hintergrund eine Tabelle der wichtigsten Wörter und Begriffe in den alten Texten und der Änderungen ihrer Anzahl im Laufe der Zeit durch Modifikationen und Neuübersetzungen (einschließlich der Deletierung von Strophen).

Tabelle 3

Einheit Alte dt. Gesänge Finno 1583 EKG 1981 Finno 1986
Gott 64 47 77 32
Christus 30 39 26 31
Jungfrau 9 5 7 5
Sünde/sündig 29 41 24 30
Gnade/
erbarmen/ 30 32 28 56
Dank/
danken 11 17 6 24
Teufel 10 21 10 -

Als dialektal wird hier nur das finnische Wort piru, die archaische und volkstümliche Benennung für die Personifikation des Bösen aufgenommen, der im Deutschen die Benennung Teufel entspricht. Finno hat sie mit piru übersetzt und die Benennung dabei sogar mehr als doppelt (21) so oft verwendet als sie im Ausgangstext (10) belegt war und ist. Die finnische Wort piru gehört also nicht mehr zum modernen kirchlichen Sprachgebrauch, sondern wird immer mit Euphemismen umschrieben. Wie die Tabelle zeigt, ist es von den heutigen Übersetzungen völlig verschwunden, obwohl Teufel in den deutschen Liedern immer noch gängig ist. Einige Umschreibungen werden in den folgenden Textabschnitten hervorgehoben. Es handelt sich um jeweils 2 Strophen des Luther-Liedes „Ein feste Burg ist unser Gott“ aus der ältesten deutschen Version und aus dem finnischen ältesten und neuesten Gesangbuch.

Tabelle 4

2. Mit unser macht ist nichts gethan/ wir sind gar bald verloren./Es streit fur uns der rechte man,/den Gott hat selbs erkoren./Fragstu wer der ist?/Er heist Jhesu Christ,/der Herr Zebaoth,/Und ist kein ander Gott;/das felt mus er behalten.

3. Und wenn die welt vol Teuffel wehr/unnd wolt uns gar verschlingen,/So fürchten wir uns nicht zu sehr./Es sol uns doch gelingen./Der Fürst dieser welt,/wie saur er sih stellt,/thut er unns doch nicht,/das macht, er ist gericht./Ein wörtlin kan yhn fellen. (Luther 1524)

Händä wastan omast woimast/Eij toctin yxikän mennä/Sil Isän Jumalan suomast/Christus sotan tuli tenne/Herra Zebaot /häld voiman pois ott/Se ialo sangar /ia töisäns angar/Sai woiton ylitzen pirun.

Waick coko mailm wastam olis/Ja pärät meit cadhotta tadhois/Eij quitengan edhes tulis/Eick matcan sais mitä aicois/Hänen päämiehens/osottacan wäkens/Hänen iuonens cans/pyytää meit ansan/Idzep hän cuoppan lange. (Finno 1583)

2. On turha oma voimamme/vääryyden valtaa vastaan./Me turman vallat voitamme/Herrassa ainoastaan./Hän Kristus, kuningas,/on voitonruhtinas,/lyö joukot helvetin,/ne tallaa jalkoihin/ja voiton meille saattaa.

3. Jos täyttyisikin maailma/nyt valheen enkeleistä,/niin pimeys ei voittoa/kuitenkaan saisi meistä./Ne olkoot raivoissaan/ja syöskööt kiukkuaan./Nyt valheen vallat on/jo saaneet tuomion./Ne yksi sana kaataa. (Vk. 1986)

 

Betrachten wir die Benennung Teufel, sehen wir, dass sie im Luther-Text nur einmal vorkommt und weiter einmal mit der Kollokation Fürsten dieser Welt paraphrasiert wird. Im alten finnischen Text finden wir auch nur einmal den oben genannten alten Ausdruck piru, dagegen aber in der neuen Übersetzung 6mal einen Euphemismus bzw. eine Paraphrase:  vääryyden valta [‚die Macht des Unrechts’], turman vallat [‚die Mächte des Todes’], joukot helvetin [‚die Truppen der Hölle’], valheen enkelit [‚die Engel der Lüge’], pimeys [‚die Finsternis’] und valheen vallat [die Mächte der Lüge’]. Der Begriff wird also in der Übersetzung durch mehrere Alternativen wiederholt, obwohl er im Ausgangstext nur einmal explizit genannt, dagegen aber später nur impliziert wird.

In diesen 2 Strophen sind auch weitere dialektale Merkmale vorhanden. Im Deutschen handelt es sich zunächst um dialektale Schreibweisen sowie z. B. die damals noch schwankende Wahl zwischen dem Groß- und Kleinschreiben des Substantivs. In der Strophe 2 haben wir das niederdeutsche Diminutiv wörtlîn statt des hochdeutschen Wörtlein, sowie das Verb fellen statt fällen. Im Finnischen ist die Neigung zu den west- und südwestfinnischen Dialekten deutlich. Die Endung -i des finnischen Präteritums und der Endvokal -i des Konditionalmorphems -isi wird weggelassen: pois ott, [‚weg nahm’] statt pois otti bzw. olis [‚wäre’] statt olisi, tadhois [‚möchte’] statt tahtoisi usw. Eine typisch südwestfinnische Form ist auch die gekürzte Negation eij toctin statt ei tohtinut -> ei uskaltanut [‚wagte nicht’], in der die Endung [nut] der Negation im Präteritum zu [n] gekürzt wird. Eine weitere Kürzung für diese Regionalität ist der kurze Vokal [a] statt eines langen im Infinitiv, wie z. B. cadhotta, [‚verlieren’] statt kadottaa -> saattaa kadotukseen, [‚in die Hölle jagen’] [und wolt uns gar verschlingen]. Außer dem Verb toctia -> tohtia, das schon oben erwähnt wurde, ist auch das Adverb pärat [,sogar’] -> peräti -> jopa ein Beispiel für die westfinnische dialektale Lexik in den alten finnischen Kirchenliedern. Im neuen finnischen Text dieses Luther-Liedes sind diese Ausdrücke mit anderen Formulierungen ersetzt worden.

5. Merkmale der Dialekte in den alten aus dem Deutschen übersetzten Liedern

Mit der kurzen Analyse der obigen Strophen sind wir schon auf dem Gebiet des Dialekts im Projektkorpus übergangen. Im Finnischen Zieltext handelt es sich besonders um Morphologie der west- und südwestfinnischen Dialekte, um Syntax und Lexik, die in den Texten ausschlaggebend sind. In den deutschen Ausgangstexten spielen die Schreibweise und die Lexik eine wichtige Rolle in dialektalen Ausdrücken. In einem Fall sind sowohl hoch- als auch niederdeutsche Versionen eines ins Finnische übersetzten Liedes vorhanden, die später betrachtet werden. Gemeinsam für die deutschen und finnischen Versionen ist, dass die dialektalen Merkmale aus den heutigen Texten durch Modifikationen und Modernisierungen der Sprache beseitigt worden sind.

5.1 Morphologische und syntaktische Merkmale

5.1.1 Merkmale der südwestfinnischen Dialekte in Verbformen

Im Folgenden werden einige der meistbelegten Merkmale für den Dialekt in den alten finnischen Kirchenliedern behandelt. Am meisten kommen dabei dialektale Verbformen hervor. Im 16. Jahrhundert war Turku als Hauptstadt der finnischen Lande im schwedischen Königsreich das Zentrum des geistlichen, kulturellen und materiellen Lebens in Finnland und dadurch waren auch die südwestfinnischen Dialekte maßgebend bei der Normierung der finnischen Standardsprache (Hovdhaugen et al. 2000: 46), obwohl heutzutage der Turkuer Dialekt oft der hässlichste in Finnland gescholten wird.  Neben der Intonation, die im schriftlichen Material ausgeschlossen ist, sind die gekürzten Endungen und Vokale die urtypischen dialektalen Merkmale im alten Korpus. Im neuen Korpus sind sie nicht mehr zu finden. Entweder sind sie normiert oder völlig modifiziert worden. In der Dichtung können weibliche Reime für Reimungszwecke durch Kürzung des Endvokals in vielen Sprachen in männliche Reime geändert werden, aber auch dies ist im neuen finnischen Korpus vermieden worden.

5.1.1.1 Imperativ: Schwund des Endvokals /a/

Ein typisches Merkmal des südwestfinnischen Dialekts außerhalb der eigentlichen Stadt Turku ist bis zu den heutigen Tagen der Schwund des Endvokals im Imperativ der Sg2. Dafür gibt es im alten Korpus mehrere Beispiele:

carckot [->karkota, ,jage weg’]
an [-> anna, ,gib’]
lodhut [-> lohduta, ‚tröste’]
totut [-> totuta, ,lass gewöhnen’]

Die Anfängen der Normierung der finnischen Schriftsprache stammen also aus der Zeit Reformation, d. h. dem 16. Jahrhundert, wo auch das erste finnische Kirchengesangbuch publiziert wurde. Es gab damals noch Schwankungen in der Schreibweise und auch in der Normierung der Sprache – die erste Grammatik der finnischen Sprache wurde um 1640 von Henricus Crugerus veröffentlicht (Hovdhaugen et al. 2000: 75) – genauso wie in der deutschen Sprache. Einen Beleg dafür finden wir im Teilkorpus des obigen Imperativs Sg2, und zwar für die heute normierten Form mit dem Endvokal:

sytytä [,zünde an’].

Auch das Kopula behält seine Endung im Imp. Sg2, obwohl es in südwestfinnischen Dialekten auch oft verschwindet (d. h. ol):

Ole kijtet [-> ole kiitetty, ,sei bedankt’]

5.1.1.2 Negation und Perfekt, Kürzung der Endung (–nUt) auf (-n)

Ein Besonderheit der finnischen Sprache auch innerhalb der finnougrischen Sprachen ist das Negationshilfsverb, d. h. dass bei der Negation nicht das Verb selbst sondern das Negationswort nach der Person im Singular oder Plural konjugiert wird. Die Form des Verbs ist dabei in der Regel der schwache Stamm des Infinitivs im Präsens und das zweite Partizip Sg. bzw. Pl. in den anderen Tempora. 

Beispiel:

minä en lue (‚ich lese nicht’) Präs. Sg1
he eivät lue (‚sie lesen nicht’) Präs. Pl3
minä en lukenut (‚ich las nicht’) Prät. Sg1
he eivät luke[n]neet (‚sie lasen nicht’) Prät. Pl3
minä en ollut lukenut (‚ich hatte nicht gelesen’) Plusq. Sg1
he eivät olleet lukeneet (‚sie hatten nicht gelesen’) Plusq. Pl3

Die südwestlichen Dialekte kürzen immer noch die Partizipendung auf -n
im Präteritum. Dieses Phänomenon ist in den alten Kirchenliedern bei den Negationen dokumentiert worden:

eij toctin [-> ei tohtinut -> ei uskaltanut, ,wagte nicht’]

Auch Belege für diese Kürzung waren im Perfekt vorhanden:

on syndyn [-> on syntynyt, ,ist geboren’]

Andererseits konnte auch ein Beispiel für die Schwankung der Konjugation des Negationshilfsverbs noch gefunden werden.

Sielut eij laulu kiellä [-> Sielut eivät laulua kiellä, ,die Seelen verweigern sich nicht zu singen’]

5.1.1.3 Infinitiv: Schwund bzw. Kürzung des Endvokals /a:/ und des langen Vokals im 3. Infinitiv (-mA)

Nach dem obigen Muster wurden und werden in den südwestlichen Dialekten die infinitiven Endungen mit einem langen Vokal /a:/ auf /a/ gekürzt. In den alten Liedern wird ihm regelmäßig gefolgt:

cadhotta [-> kadottaa, ‚verlieren’]
anda [-> antaa, ,geben’]
canda [-> kantaa, ,tragen’]
pitämän [-> pitämään, ,zu halten’]
rippuman [-> riippumaan, ,zu hängen’]

5.1.1.4 Ind. und Kond. Pl1: Schwund der Endsilbe des Morphems (-mme)

Im Pl1 und Pl2 wird der Konsonant /m/ nach dem Stamm bzw. des Konditionalmorphems verdoppelt. Im westlichen Dialekten wird dann die Endsilbe weggelassen und nur der durch Verdoppelung entstandene Nasal ausgesprochen. Diesem Muster scheinen die Kirchenlieder regelmäßig zu folgen.

halam [-> haluamme, ‚wir wollen’],
me lähenem [-me lähenemme, ‚wir kommen näher’]
madhaisim [-> mahtaisimme, ‚wir möchten’] 

Derselbe Schwund erfolgt auch im Imp. Pl1:

weisatcam [-> veisatkaamme, ,lasst uns singen’]
riemutcam [-> riemuitkaamme, ,lasst uns freuen/jubeln’]

5.1.1.5 Präteritum, Schwund der Endung (-i); Konditional, Schwund des Endvokals /i/

Ein typisches Merkmal für den dialektalen Vokal /a:/ war die Kürzung zum kurzen Vokal /a/. Dagegen weist der Endvokal /i/ eine Tendenz zum Schwund auf. Auch hier ist eine Schwankung zu sehen. Die Endung des Präteritums ist nachhaltiger als der Endvokal des Konditionals. Ein Grund dafür kann das Beibehalten der Endung des Präteritums im Turkuer Dialekt sein, obwohl diese Endung kein /i/sondern ein /s/ist, das zwar in den alten Liedern nicht vorkommt.

Es wurde also sowohl

hän tacto [-> hän tahtoi, ,er wollte’]

aber auch

tadhoi tulla [-> tahtoi tulla, ,wollte kommen’] und
syndyi [-> syntyi, ,geboren wurde’]

belegt. Dagegen sind keine Beispiele für das Bestehen des Endvokals im Konditional vorhanden, sondern er wird regelmäßig weggelassen:

olis [-> olisi, ,wäre’]
tadhois [-> tahtoisi, ,möchte’].

5.1.1.6 Kurzer Vokal in der Passivendung: (-tin)bzw. (-tan) statt (–tiin/-taan); Schwund der Endsilbe im Partizip 2

Die Vokale /i:/ und /a:/ sind im alten finnischen Text die für dialektale Modifikationen, in analogen Positionen auch /o:/ empfindlicher als die anderen. Die folgenden Beispiele sind Präteritumformen:

pijnattin [-> piinattiin, ,wurde(st) gefoltert’]
pilcattin [-> pilkattiin, ,wurde(st) verhöhnt’]

Genauso wie im Partizip 2 Aktiv die Endung (-nUt) weggelassen wurde (3.1.1.2), geschieht es auch im Passiv des Partizips 2:

Ole kijtet [-> ole kiitetty, ,sei bedankt’]

5.1.2 Südwestfinnische Nominalformen

Die modernen Linguisten haben in ihren Forschungen festgestellt, dass Mikael Agricola, der schon genannte eigentliche Schöpfer der finnischen Schriftsprache, 6000 bis 8500 unterschiedliche Wörter in seinen Übersetzungen verwendet hat, von denen noch heute 4450 bis 5350 im Gebrauch sind (Hovdhaugen et al. 2000: 47). Es ist also kein Wunder, dass einerseits auch die heutigen Leser der alten Texte sie recht gut verstehen können, und dass andererseits der Schwerpunkt der sprachlichen Änderungen sowohl im Finnischen als auch im Deutschen auf dem Feld der Morphologie und Syntax festgestellt werden können. Dies haben wir schon bei den Verben und Verbformen gesehen, und auch bei Nomini sind die Unterschiede zum Standardsprache eher phonologisch und grammatisch als lexikalisch.

5.1.2.1 Vokalverbindungen: /i/ statt /e/

Ein auffallender dialektaler Merkmal ist der Silbenendvokal /i/ statt des standardsprachlichen /e/. Dieser Unterschied gilt noch heute für die südwestfinnischen Dialekte und wird of noch bei der Aussprache durch Verdoppelung des vorangehenden Konsonanten verstärkt.

makia [-> makea, ’süß’]
sokia [-> sokea, ’blind’]
pimiä [-> pimeä, ’dunkel, finster’]

5.1.2.2 Schwund der Endsilbe (-me) im Pl1 und des Endvokals (-i) im Sg2 des Possessivsuffixes

Wie schon in Abschnitten 5.1.1.4 und 5.1.1.5 festgestellt wurde, ist der Schwund der Endungen und besonders der Endvokale ein typisches Merkmal der südwestfinnischen Dialekte. In den vorigen Abschnitten wurden Verben und Verbendungen analysiert, hier handelt es sich um Possessivsuffixe, eine finnische sprachliche Sonderheit (neben der Negation, vgl. 5.1.1.2), die in anderen finnourgischen Sprachen (z. B. Estnisch) nicht vorkommt. Die heutige gesprochene Sprache verwendet sie nur selten, und es wird vorausgesagt, dass sie in den nächsten Jahrzehnten völlig aus der Sprache verschwindet.

In diesen dialektalen Beispiele ist das Suffix aber nicht verschwunden, sondern gekürzt. Als Zeichen dafür steht beim Pl1 das von der Verdoppelung gebliebene /m/ und beim Sg2 das /s/.

meidhän päälläm [-> meidän päällemme -> meitä, ’uns’ = erbarm dich unser]
meidhän turuam [-> meidän turvamme, ,unser Schutz’]
armos [-> armosi, ,deine Gnade’]
armollas [-> armollasi, ,durch deine Gnade’]
woimallas [-> voimallasi, ,mit deiner Kraft’]

5.1.2.3 Schwund der morphemischen Endsilbe und Kürzung des morpheminneren Vokals im Lokalkasus

In finnourgischen Sprachen werden Kasus (Fälle) und Kasusendungen statt Präpositionen verwendet. In den südwestfinnischen dialektalen Lokalkasus ist das oben schon mehrmals erwähnte Phänomenon des Schwunds zu sehen.

oman äitinsä parmas [-> oman äitinsä parmassa = sylissä, ,in seiner Mutter Schoß’]
murhes [-> murheessa, ,im Kummer’]
pantin soimen [-> pantiin soimeen = seimeen, ,wurde in die Krippe gelegt’]
neidzestä puctast [-> puhtaasta neitsyestä, ,aus der reinen Jungfrau’]
taiuasen [-> taivaaseen, ,in den Himmel’]

Der Schwund findet aber nur dann statt, wenn der Kasusmorphen am Ende der Worteinheit steht, d. h. keine weitere Endung noch dazu kommt, bzw. der Rhythmus es nicht verlangt wie im vierten Beispiel neidzestä puctast. Das zeigen die zwei letzten Beispiele bei 5.1.2.2, nämlich armollas bzw. woimallas, wo das Possessivsuffix nach dem Kasusmorphem [–lla] steht und daher vollständig bleibt. Die Schwankung bei neidzestä puctast betont die Rolle des Dialekts in den Liedern, obwohl auch die längere, weiterverbreitete Form dem Übersetzer bekannt gewesen sein muss.

5.1.3 Südwestfinnische Pronominiformen

Die südwestfinnischen Dialekte haben noch heute das gemeinsame Relativpronomen (hier also quin [-> joka, ’der’, ’welcher’]) mit den ostseefinnischen Sprachen, während die finnische Standardsprache das Pronomen joka vorzieht. Die alten Übersetzungen der Kirchenlieder zeigen, dass es schon im 16. Jahrhundert Schwankungen gab, da beide Pronomen in den Liedern verwendet wurden.

sinä yön quin [-> sinä yönä, jolloin, ,in der Nacht, wo’]
auringon koi, quin [->auringon koi, joka, ,der Morgenrot, der’]

Es gibt aber auch Belege für joka:

jonga synnit [-> jonka synnit, ,dessen Sünden’]
jong mailm [-> jonka maailma, ,dessen Welt’]

Weitere Kasusformen, die von quin abgeleitet sind und heute noch einigermaßen bekannt bzw. in der Dichtung verwendet sind, vertritt hier

cusa [-> kussa = jossa, ,wo’, ,in welchem’],

dessen Stamm noch z. B. in einem Adventslied zu finden ist:

Autuas kansa, kaupunki, kuhunka Jeesus tuleepi [,Selig das Volk und die Stadt, wohin Jesus kommt’]

Das Graphem

< k >  hat also im Laufe der Zeit den Platz von < q >, < c >  und einigen weiteren Alternativen, wie z. B. < gh >

in der finnischen Schriftprache übernommen.

5.2 Lexik

Wie schon erwähnt wurde, hat sich die finnische Sprache lexikalisch nicht so sehr verändert, dass die alten Texte für die modernen Menschen unlesbar seien. Daher werden hier nur einige Beispiele für lexikalische Besonderheiten in alten Liederübersetzungen gegeben. Es handelt sich dabei auch oft um alte Schreibweisen, aber auch Interferenzen des Ausgangstextes sind zu sehen, da die Zielsprache noch in der Entwicklungsphase einer schriftlichen Sprache stand.

neidzökäinen [-> neitsyt, ,Jungfrau’] steht für Jungfrau Maria. Ihre Schreibvarianten in den Texten sind in den Kasusformen für neidzyt, d. h. neidzestä [-> neitseestä, ,aus der Jungfrau’] und neidzön [-> neitsyen, ,der (Gen) Jungfrau’] zu finden.

wapattaja [-> Vapahtaja, ’Heiland’]. Die alte Schreibweise mit dem Doppelkonsonanten

< tt > wird später analog zu weiteren Formen mit < ht >

geschrieben und auch ausgesprochen.

Cuningan piha [-> kuninkaan hovi, ’Königshof’] ist eine Interferenz aus dem Deutschen, denn für das Wort Hof gibt es im Finnischen zwei Übersetzungsmöglichkeiten, und zwar ‚hovi’, wenn es sich um den Königshof, die ganze Umwelt eines Königs handelt, und ‚piha’, wenn der konkrete Platz gemeint ist (‚Schulhof’, ‚Hinterhof’, ‚auf dem Hof’ usw.). Hier wurde also die falsche Alternative, ‚piha’ statt der richtigen gewählt. Es sollte also cuningan hovi [heute: kuninkaan hovi] heißen.

hapoin taikin [-> hapantaikina, ’Sauerteig’] schwankt nur in der Schriftweise, da der Endvokal bei taikina fehlt, das Adjektiv eine alte Form hat und die Kollokation heute als Kompositum geschrieben wird

päälläm [-> päällemme, ‚auf uns’]. Dieser Beleg wurde schon oben analysiert. Hier steht er aber für eine weitere Interferenz, da das Finnische statt Postpositionen Kasusendungen vorzieht, aber hier die Äquivalenz für auf, d. h. päälle usw. verwendet wurde. Daher sollte die Übersetzung für Erbarme dich auf uns hier ,armahda meitä (Partitiv für me¸ ,wir’) heißen. Analog hätte schon damals die Kollokation auf den Sohn mit ,poikaan’ (Illativ für poika, ,Sohn’) statt poian pääl übersetzt werden sollen.

wähä ist ein interessantes Wort, dass im Finnischen eigentlich als Adverb vähän [,ein wenig’] oder in der Bedeutung für pieni [,klein’] verwendet wird. Diese Verwendung finden wir auch in den alten Liederübersetzungen: O Jesu wähäinen [-> Oi Jeesus pienoinen, ‚O kleiner Jesu’]. In den südwestfinnischen Dialekten hat es aber analog mit z. B. dem Estnischen immer noch auch die gegensätzliche Bedeutung als Adverb, d. h. ,sehr’. Auch für diese Verwendung gibt es Belege im Korpus, z. B. wähä kaunis [-> hyvin kaunis, ,sehr schön’]. Interessant dabei ist, dass genau diese Bedeutung sich in der modernen Jugendsprache verbreitet.

tyghös me lähenem [-> luoksesi me tulemme ‚wir kommen näher zu dir’] ist noch ein Beispiel für die Verwendung der dialektalen Ausdrücke in den alten Übersetzungen. Tykö ist der westfinnische Form für luokse, ,zu jmdm’, wobei tykö sich besonders in feierlichen und religiösen Texten sich lange bewehrt hat. Beide müssen mit einem Possessivsuffix versehen werden, wie es auch in diesem Beleg der Fall ist. 

Oben wurden einige Beispiele für die alten dialektalen Ausdrücke und Formen in den finnischen Zieltexten analysiert, und in den folgenden Abschnitten werfen wir noch einen kurzen Blick auf ihre Ausgangstexte und die entsprechenden dialektalen Merkmale. 

Im allgemeinen konnten keine Belege dafür finden, dass die Übersetzer der alten Kirchenlieder systematisch oder gar absichtlich dialektale Ausdrücke des Ausgangstextes mit einem Dialekt der Zielsprache hätten übertragen wollen, sondern alle Vertexter scheinen versucht zu haben, eine für den damaligen Menschen verständliche und belehrende Sprache zu sprechen.  Dies lehnt die Lokalisierung nicht ab, obwohl manchmal das Reimen vor der Verständlichkeit vorzieht wird. Auf jeden Fall steht fest, dass hier die Dialektübersetzung im engeren Sinne, so wie wir es verstehen,  nicht im Vordergrund steht und nicht bewusst verfolgt wird. Daher wurden die dialektalen Belege nicht kontrastiv betrachtet, sondern beide Texte für ihre dialektalen Befunde gesondert analysiert.

5.3. Deutsch, niederdeutsche Merkmale

Wie schon gewähnt, wird die alte Schreibweise in den deutschen Texten hier im Allgemeinen außer Acht gelassen (z. B. gemütte [-> Gemüt], unschüldig, [-> unschuldig], düldig [-geduldig], wie wol ([-> wie wohl], yamer tal [-> Jammertal], süs [-> sonst], Osterfladen [-> süßes Brot], da es davon sehr viele Variationen gibt (vgl. von Polenz 2000: 147 ff.). Im Korpus ist aus praktischen Gründen meistens nur eine Version des alten Textes vorhanden, so dass auch dies das Erhalten eines richtigen Bildes verhindern würde. Im Projekt stehen die Übersetzungen im Mittelpunkt, nicht die Grammatik des Ausgangstextes. Außerdem sind im deutschsprachigen Raum zahlreiche unterschiedliche Gesangbücher in mehreren Dialekten herausgegeben worden (vgl. Jenny 1985). Um jedoch die Rolle der Dialekte in deutschen Kirchenliedern nach der Reformation zu erleuchten wurde hier beispielshalber ein Text hervorgenommen, für den im Korpus sowohl die hoch- als auch die niederdeutsche Version vorhanden waren.  Schon diese zeigen, wie groß die Unterschiede gewesen sein können.

5.3.1 Diphthonge

Nach von Polenz (2000: 148 bis 150) werden im Vokalsystem des Deutschen zwischen Mittel- und Neuhochdeutsch Diphthongierung, Monophthongierung und Dehnung sowie später Zusammenfall von Phonemreihen als ‚neuhochdeutsche’ Lautveränderungen eingestuft. In meinem deutschen Korpus sind zahlreiche Beispiele dafür vorhanden. Da es sich eigentlich nicht (oder nicht nur) um Dialekt handelt, werden hier nur „Stichproben“ der noch wankenden Schriftweisen aufgelistet:

1) Durch Diphthongierung wandeln sich die mitteldeutschen engen Langvokale (geschrieben

< i >, < u >, < u/iu >) in die neuhochdeutschen steigenden Diphtonge (geschrieben , < au/aw >, < eu/ew >

): hereyn [herein], sey [sei];
2) Durch Monophthongierung der mittelhochdeutschen fallenden Diphthonge (geschrieben

< ie >, < uo >, < ue > zu den neuhochdeutschen Monophthongen (< i/ie/ih >, < u/uh >, < u/ü/üh >

): ligt [liegt], gieb [gib], liecht [Licht];
3) Die Dehnung des /e:/ zeigt sich im Korpus durch die Doppelschreibung des Vokalgraphems bzw. die niederdeutsche Schreibweise im Beleg geet [geht];
4) Schlieβlich sehen wir noch die alte Schreibweise des mitteldeutschen engen Langvokals

< i >

noch in der Monophthongform im Beispiel kindlîn [Kindlein] aus dem Korpus.

5.3.2 Lexik

Zum Schluss vergleichen wir, wie oben erwähnt, noch den Text eines Liedes aus dem Schumannschen Gesangbuch 1539, wo er sowohl im Hochdeutsch als auch im Niederdeutsch gedruckt wurde. In Norddeutschland (von Polenz 2000: 169) wurde die überregionale Schreibweise und Schreibentwicklung durch die Hanse und ihren Fernhandel gefördert. Dies gilt besonders für Rechts- und Verwaltungssprache, aber zeigt sich auch in Kulturbeziehungen (z. B. in Estland und Finnland sind noch beachtenswert viele Dokumente der Hanse in den alten Archiven zu finden.)  Nach von Polenz (ibid.) liegt die „Blütezeit“ des Mittelniederdeutschen zwischen ca. 1370 – ca. 1530 und wird verallgemeinert „Hansesprache“ genannt.


(hochdeutsch)
O Lamb Gottes(i) unschüldig
am stam des Creutzes(ii) geschlachtet(iii),
All zeit(iv) gefunden düldig,
wie(v) wol du wurst(vi) verachtet(vii);
All sund hastu(viii) getragen(ix),
sons moeste(x) wir(xi) verzagen(vii),
erbarm dich(xii) unser O Jhesu.

(niederdeutsch)
O Lam gades (i) unschüldich
am stam des cruetzes(ii) geslachtet(iii),
All tydt(iv) gevunden düldich,
wi(v) wol du wordest(vi) vorachtet(vii),
All sünd heffstu(viii) gedragen(ix),
süs moste(x) wy(xi) vortzagen(vii),
Erbarm dy(xii) unser, o Jesu!


Hier werden also die phonologischen und graphematischen Unterschiede anhand Besch (2000: 1422 ff) zwischen der hoch- und niederdeutschen Lexik betrachtet. Dabei wird auch die niederdeutsche Lexik mit dem modernen Schwedisch verglichen.

Bei (i) hat das Niederdeutsche statt des stimmlosen Doppelklusils einen stimmhaften und dadurch hat sich der Vokal der offenen Silbe auch geöffnet. Dagegen ist der heutige schwedische Vokal /u:/ in gud noch geschlossener als im Hochdeutschen, obwohl der Auslaut stimmhaft wie im Niederdeutschen ist. Statt des Diphthongs /oi/ bei (ii) hat das Niederdeutsche einen Monophthong /ü/. Im Schwedischen hat hier ein Bedeutungswandel stattgefunden, und zwar bedeutet kryss im heutigen Sprachgebrauch ‚Kreuzworträtsel’ bzw. ‚Ankreuzung’, währen für das Kreuz Christi die Benennung kors steht. Die Schreibweise bei (iii) weist auf das Fehlen des stimmlosen Reibelauts

im Niederdeutschen auf. (iv) ist eine Beispiel dafür, dass das Niederdeutsche keine initialen Affrikate kennt und wieder als Auslaut (vgl. (i)) einen stimmhaften Klusil hat, und dass meistens dem Diphthong /ai/ ein langer Monophthong /i:/ entspricht (hier < y >). Das schwedische Äquivalent ist tid. Unterschiedliche Schreibweisen haben wir auch bei (v), (x), (xi) und (xii). Der Vokal wird graphematisch anders ausgedrückt (lang: < ie > bzw. < i >; kurz: < oe > bzw. < o >) (Besch 2000: 1424), der Auslaut fällt aus bei (xi) (vgl. vi im Schwedischen) und bei (xii), wobei er im Schwedischen nicht verschwindet (dig), sondern als Reibelaut stimmhaft statt stimmlos wird (/j/) (von Polenz 2000: 155). Bei (viii) haben wir in beiden Fällen eine dialektale Form, hastu (‚hast du’) im Hochdeutschen bzw. heffstu im Niederdeutschen. Merkmale dieser Form sind noch im schwedischen Partizip haft vorhanden. (ix) ist ein weiteres Beispiel für die regelmäβigen Unterschiede in Verwendung der stimmlosen und stimmhaften Klusile im Hoch- und Niederdeutsch (vgl. auch Philipp 1980: 29). Bei (vii) handelt es sich nicht um eine Variation der Schreibweise sondern eine niederdeutsche Variante (< vor >), die die Richtung des heutigen Schwedischen (< för >

) vorauszeigt: förakta bzw. för?.

6. Zum Schluss

Die Dialekte und Dialektübersetzung bilden einen Teil des Projektes, dessen zentrale Aufgabe es ist, herauszufinden, wie die Entwicklung und Veränderung der Gesellschaft auf die Kirchenlieder gewirkt hat und ob man andersrum durch deren Analyse diese Veränderungen interpretieren kann. Die Analyse gilt also nicht für die Äquivalenz zwischen dialektalen Ausdrücken zwischen diese zwei Sprachen, sondern das Verhältnis der Ausgangs- und Zielsprache zur umgebenden Gesellschaft im 16. Jahrhundert und heute. Es ist auch wichtig herauszufinden, ob die Entwicklungsrichtungen innerhalb der westeuropäischen Kultur durch die Neuübersetzungen der alten Kirchenlieder zu ersehen sind. Auf jeden Fall kann man sehen, dass die dialektalen Ausdrücke und Formen in beiden Sprachen von den heutigen Versionen der alten Lieder verschwunden sind und vor der Standardsprache haben abweichen müssen. Bisher weiß ich aber auch, dass durch jedes dieser 27 alten gemeinsamen Lieder sich eine ganze Welt öffnet, deren sprachliche, kulturelle und gesellschaftliche Betrachtung eine eigene, spannende Reise in die Vergangenheit und Gegenwart anbietet. Und der Dialekt dabei ist ein wichtiger Gewürz und Begleiter auf dem Weg. 

 

Bibliographie

Besch, Werner; Betten, Anne; Reichmann Oskar; Sonderegger, Stefan (Hrsg). 2000. Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2. Teilband. 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Band 2.2. 2. Auflage) Walter de Gruyter. Berlin. New York.

Das Vollständige grosse Cellische Gesang-Buch 1696. Gedruckt durch Johann
Stern im Jahr Christi 1696. Lüneburg.

Evangelisches Gesangbuch 1990. (EG)

Evangelisches Kirchengesangbuch 1981. (EKG)

Heiner, Wolfgang 1995. Bekannte Lieder – wie sie entstanden. 5. Auflage. Hänssler-Verlag. Neuhausen-Stuttgart.

Helin, Irmeli (im Druck). Ein feste Burg ist unser – oder mein – Gott. Neuübersetzungen alter Kirchengesänge als Spiegel des Weltbildes. In: Neuphilologische Mitteilungen. Bulletin de la Société Néophilologique. Bulletin of the Modern Language Society. Neuphilologischer Verein. Helsinki. 

Hovdhaugen, Even; Karlsson, Fred; Henriksen, Carol und Beng Sigurd 2000. The History of Linguistics in the Nordic Countries. Societas Scientiarum Fennica. Helsinki.

Jenny, Markus 1985. Luthers geistliche Lieder und Kirchengesänge. Vollständige Neuedition in Ergänzung zu Band 35 der Weimarer Ausgabe. Archiv zur Weimarer Ausgabe. Band 4
Böhlau Verlag, Köln, Wien.

Lempiäinen Pentti 1988 (Hrsg.). Jaakko Finnon Virsikirja. Näköispainos ensimmäisestä suomalaisesta virsikirjasta sekä uudelleen ladottu laitos alkuperäisestä tekstistä ja sitä täydentävistä käsikirjoituksista. Suomalaisen Kirjallisuuden Seuran Toimituksia 463. Suomalaisen Kirjallisuuden Seura. Helsinki.

Lönnroth, Lars 1978: Den dubbla scenen. Muntlig diktning från Eddan till ABBA. [Die doppelte Szene. Mündliche Dichtung von Eddan bis ABBA]. Stockholm.

Philipp, Gerhard 1980. Einführung ins Frühneuhochdeutsche. Sprachgeschichte – Grammatik – Texte. Quelle & Meyer. Heidelberg.

von Polenz, Peter 2000. Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Band I. Einführung. Grundbegriffe. 14. bis 16. Jahrhundert. 2., überarbeitete und ergänzte Auflage. Walter de Gruyter. Berlin. New York.

Suomen Evankelis-luterilaisen kirkon Virsikirja.  1986. (Vk)

Valten Schumannschen Gesangbuch von 1539, zitiert nach Wackernagel, Bibliographie Nr. 620.

 

 

©inTRAlinea & Irmeli Helin (2009).
"Lob und Gesang im Dialekt Dialekt in alten und neuen Kirchenliedern und ihren Übersetzungen", inTRAlinea Special Issue: The Translation of Dialects in Multimedia.
Stable URL: https://www.intralinea.org/specials/article/1705